Die gelassene Kämpferin

Rund achteinhalb Tausend Kilometer liegen zwischen der Oberpfalz und Korea. Mit dem Flugzeug ist man für solch eine Strecke gut und gerne zwölf Stunden unterwegs. Claudia kriegt diese Verbindung etwas leichter und schneller hin – mit ein paar Kicks und Faustschlägen.

Claudia ist 28 und Software-Ingenieurin bei EDAG Engineering in Regensburg. Und sie ist Tae-Kwon-Do -Kämpferin. Mit neun Jahren hat sie damit in ihrem Heimatort Nittenau, einer 9.000-Seelen-Gemeinde in der Oberpfalz, rund 30 Kilometer nördlich von Regensburg, begonnen. Heute trägt sie den schwarzen Gürtel im sogenannten ersten Dan. Zehn solcher „Meistergrade“ gibt es. Da wird es für die Kämpferin selbst nach 20 Jahren im Sport auch auf lange Sicht nicht langweilig.

Bei asiatischen Kampfsportarten fallen einem zähe, muskelbepackte Gestalten, wie der legendären Bruce Lee oder Jackie Chan, ein, die es in Hollywood mit ganzen Heerscharen von Bösewichtern aufnahmen und diese unter Umgehung aller Gesetze der Schwerkraft aus dem Weg kloppten und kickten. Aber Claudia? Eine eher zierliche junge Frau mit einer sanften, freundlichen Ausstrahlung... Für sie ist Tae-Kwon-Do viel mehr als Kämpfen. Für sie ist es auch eine Metapher für einen erfolgreichen Software-Entwicklungsprozess.

Der 2.000 Jahre alte Kampfsport, erklärt sie, hat seine Wurzeln in Korea und verbinde in einzigartiger Weise das Springen und Treten (TAE) sowie Faust- und Armtechniken (KWON) mit einem körperlichen und geistigen Reifeprozess (DO). „Tae-Kwon-Doin – so nennt man die Sportlerinnen und Sportler – weiß um die physikalischen Gesetzmäßigkeiten und kann die benötigte Kraft ganz gezielt einsetzen, um die gewünschte durchschlagende Wirkung zu erzielen.“

Zum Beispiel mit der Handkante oder dem Fuß zwei bis drei Zentimeter dicke Holzbretter zerschlagen. Claudia erinnert sich noch gut daran, wie sie mit elf Jahren erstmals Kleinholz produzierte. „Da hatte ich erst ganz schön Respekt – und dann ist das Ding doch auf Anhieb zerbrochen. Was war ich da stolz!“ Als Kindertrainerin weiß sie heute natürlich auch, dass die ersten Prüfungsbretter auch nicht allzu dick sind, um die Kleinen nicht zu frustrieren. „Technik, Kraft und Willensstärke lassen einen Dinge tun, die man selbst erst einmal gar nicht für möglich gehalten hätte“, so ihre Erfahrung. „Ein toller Sport für den ganzen Körper und den Geist, der das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt.“

Mit diesem philosophischen Zugang zu Energie, Technik und Leistungsentwicklung war für sie der Weg ins Studium der Informations- und Kommunikationstechnik in Erlangen im Grunde schon bereitet, „zumal Mathe mein Lieblingsfach in der Schule war“. Den Dingen auf den Grund zu gehen, Strategien für den eigenen Erfolg zu entwickeln und diese mit großer Disziplin und maximaler Effizienz umzusetzen, hat sie zum Masterabschluss geführt. Ihre Arbeit widmete sich dabei neuen Features für die Maschinenkommunikation im Mobilfunkstandard LTE-Advanced.

Claudia ist kein Auto-Fan, den PS oder bestimmte Marken faszinieren, sondern die Technik, die auf der Straße unterwegs ist. Daher gefiel es Claudia sehr gut, nach dem Studium bei einem Entwicklungsdienstleister für die Automobilindustrie einzusteigen. Bei BFFT, später dann EDAG, in Regensburg fühlte sie sich als Software-Testerin Embedded Systems, in der Abteilung Energiemanagement, auf Anhieb sehr wohl. „Weil Software-Tests für mich sinnstiftende Arbeit sind. Wir arbeiten mit unserem Team an der Zukunft der Mobilität mit und tragen mit dazu bei, dass das Fahren immer sicherer und immer umweltverträglicher wird.“

Das EDAG Team in Regensburg ist spezialisiert auf die Serienentwicklung. Beim Software-Testing geht es daher immer darum, neue Entwicklungen im Fahrzeug ans Laufen zu bringen. „Unsere Software fährt demnächst auf der Straße, daher muss sie auch diverse Sicherheitsanforderungen erfüllen und Normen einhalten“. 

Als Software-Ingenieurin ist Claudia mit ihren rund 25 Kolleginnnen und Kollegen im Team in den gesamten Prozess involviert, wie er im V-Modell abgebildet ist: von der Anfrage, über die Bedarfsanalyse der Kunden, den Aufbau der Software-Architektur bis zu deren Integration ins Fahrzeug. „Wir kombinieren unsere Arbeit nach dem V-Modell noch mit agiler Software-Entwicklung und arbeiten unsere Arbeitspakete in meist dreiwöchigen Sprints ab“, sagt Claudia.

Agiles Software-Engineering trifft ganz den Nerv der Tae-Kwon-Doin. „Einfach nur irgendwelche starren Muster zu bedienen, wäre mir zu wenig. Ich mag es, wie in meinem Sport mit Strategie zum Erfolg zu kommen.“ Wie im funktionellen Training, bei dem vor allem das eigene Körpergewicht eingesetzt wird. Gerne auch zwischendurch einmal draußen in der Natur, im Park – „Hauptsache es macht Spaß!“, sagt sie. Stures Laufen und bloßes Gerätetraining im Fitnessstudio gehören für sie definitiv nicht dazu, fügt sie mit einem entschuldigenden Schulterzucken hinzu.

Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass es Claudia persönlich nicht so sehr mit dem Wettkampfsport hat. Tae-Kwon-Do-Fights, bei denen es auch schon mal ein k.o. im Spiel ist, sind nicht wirklich nach ihrem Geschmack. „Klar, Wettkampf gehört dazu, aber viel interessanter finde ich, dass die Selbstverteidigung auf Deeskalation abzielt und den bewussten Einsatz von Technik und die harmonischen Bewegungs-abläufe, die wir im Training einüben.“ In Verbindung mit gelernter Disziplin lasse sich daraus für den Alltag und den Job viel Selbstvertrauen und Gelassenheit auch in kritischen Situationen schöpfen.  

Als Entwicklerin ist Claudia immer auch offen für Neues. Vor einem Jahr hat sie das Salsa-Tanzen für sich entdeckt. „Das ist Lebensfreude pur.“ Für die Software-Ingenieurin und Kampfsportlerin heißt das: alles im DO – der körperliche und der geistige Reifeprozess schreiten voran. Vielleicht macht sie sich ja doch noch mal irgendwann auf die achteinhalb Tausend Kilometer nach Korea, zu den Wurzeln des Tae-Kwon-Do und ihrer eigenen Gelassenheit.


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